Langgöns . Ihre Abschiedsrede hatte sie schon gehalten, aber weil Friedrich Merz den eigentlich schon abgewählten Bundestag noch einmal zusammentrommelte, um die Verfassung ohne die bereits vom Volk gewählten neuen Abgeordneten zu ändern, gab es auch für Joana Cotar aus dem Langgönser Ortsteil Espa einen allerletzten Auftritt im Hohen Haus. Mit dem endete eine siebeneinhalbjährige Laufbahn, die bei der AfD begonnen hatte, bis sie die Partei verließ. Im GA-Interview zieht die 52-Jährige eine Bilanz ihrer Erfahrungen mit unserem politischen System im Allgemeinen und der AfD im Besonderen, und sie spricht über ihre Vergangenheit und eigene politische Zukunft.
Was werden Sie nach Ihrem Abschied aus der Bundespolitik machen? Sie haben ja viele verschiedene Tätigkeiten in Ihrem Leben ausgeübt. Sie könnten zum Beispiel als zertifizierte Feng Shui-Beraterin nach den »persönlichen und authentischen Lehren von Großmeister Yap Cheng Hai« arbeiten.
Nein, das ist keine Option (lacht). Ich habe Feng Shui-Beratung damals als Hobby gemacht und finde das immer noch faszinierend, aber ich habe seit Jahren keine Zeit mehr gehabt, mich damit zu beschäftigen. Ich gehe zurück in die Selbstständigkeit, aber nicht mehr wie früher im Projektmanagement. Ich gehe nicht davon aus, dass ich sehr viele Kunden gewinnen könnte als ehemalige AfD-Abgeordnete. Ich bleibe aber nach wie vor der Politik verhaftet. Ich habe eine sehr große Reichweite auf Social Media, die ich definitiv weiter nutzen werde.
Als Sie als Kind aus Rumänien nach Deutschland kamen, welches Bild hatten Sie da von diesem Land?
Wir sind damals nach Bad Nauheim in ein Auffanglager gekommen. Mein Papa und mein Bruder kamen ein Jahr später nach. Deutschland war nicht das Land, das man sich so vorgestellt hat. Toll war natürlich der Konsum. Meine Mutter ist in Tränen ausgebrochen, als sie zum ersten Mal einen Supermarkt betrat. Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, dass ich mir dort ein Überraschungs-Ei gewünscht habe und meine Mutter sagte: »Das können wir uns nicht leisten«. Meine Mama war als Siebenbürger Sächsin Angehörige der deutschsprachigen Minderheit gewesen. Sie war unglaublich stolz darauf, Deutsche zu sein. Wir haben die alten Bräuche und Lieder gepflegt. Und dann sind wir nach Deutschland gekommen, und da war Stolz gar nicht gerne gesehen und meine Eltern mussten sich den erst mal mühsam abtrainieren.
Deutscher zu sein, ist ja auch kein persönlicher Verdienst. Man kann doch eigentlich nur auf das stolz sein, was man selbst geleistet hat, oder?
Ich meine mit Stolz auch eher ein Wir-Gefühl, ohne deshalb gleich auf andere Völker herabzublicken; die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv, das eine tolle Geschichte hat mit Ausnahmen, mit großen Ausnahmen.
Ihr früherer Parteifreund Gauland hat für die größte Ausnahme einen anderen Ausdruck verwendet.
Der »Fliegenschiss« war der völlig falsche Ausdruck. Einem klugen Mann wie Gauland darf so etwas eigentlich nicht passieren. Aber noch einmal zum Stolz. Ich glaube, wenn man auf das Gemeinsame stolz ist, dann hält man auch eher zusammen und sucht, sein Land zu bewahren. Wenn man das aber alles verloren hat, dann landet man da, wo jetzt Deutschland ist. Nichts hält einen mehr zusammen, keine Werte, keine Religion. Ich bin nicht gläubig und in keiner Kirche, aber das gemeinsame Wertefundament bis hin zur Familie ist längst aufgebrochen worden. Wir verlangen von Migranten, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren, aber in was sollen sie sich integrieren? In ein Land, das sich selbst hasst und sich am liebsten abschaffen würde? Das wird nichts.
Wurden Sie als Kind selbst diskriminiert?
Als wir 1978 nach Deutschland kamen, war Ausländerfeindlichkeit verbreiteter als heute. Meine Mutter war in Rumänien immer die Deutsche und in Deutschland immer nur die Ausländerin. Jedes Mal, wenn Mitschüler gegen mich oder meine Eltern hetzten, habe ich mich mit denen geprügelt. Ich war da ziemlich rabiat (lacht). Meine Eltern hatten in Rumänien beide an der Universität unterrichtet. In Deutschland musste meine Mutter als Lehrerin an der Hauptschule anfangen. Sie hat sich dann wieder bis zum Gymnasium hochgekämpft, aber weil ihre Abschlüsse hier nicht anerkannt wurden, ist sie als Lehrerin in Deutschland nie verbeamtet worden. Mein Vater hat als Rumäne hier überhaupt keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Er hat dann später ein eigenes Geschäft aufgemacht und Nudeln in die USA verkauft. Deshalb sehe ich auch das Thema Integration etwas anders. In Deutschland kann es noch immer - und heute erste recht - jeder schaffen. Meine Eltern sind mit zwei Koffern hier angekommen, und die Tochter ist Bundestagsabgeordnete geworden. Mein Bruder ist heute erfolgreicher Investmentbanker. Das geht also, wenn man sich nicht in die Opferrolle zurückzieht und »Mimimi« macht?
Halten Sie Migranten, die heute nach Deutschland kommen, für wehleidiger als Ihre Eltern?
Nein, die Opfermentalität kommt ja nicht von den Menschen, die hierherkommen, sondern von den ganzen NGOs, Beratungsfirmen und Kirchen, die jedem erst einmal sagen, dass er Rechte hat und wenn er die nicht bekommt, dann klagen sie für ihn. Das »Mimimi« wird ihnen hier erst eingeredet.
Sie haben selbst eine Fluchtgeschichte, waren aber Mitglied einer migrationskritischen Partei. Wie passt das zusammen?
Das habe ich Ihnen gerade gesagt. Ich glaube, Migration hat Grenzen, in denen sie funktioniert und Deutschland hat diese Grenzen schon seit Jahren überschritten und ist überfordert. Wir tun damit den Menschen, die hierher kommen, keinen Gefallen, und den Menschen, die früher nach Deutschland kamen, erst recht nicht. Ich habe übrigens gar nichts gegen Arbeitsmigration. Jeder, der hierher kommt, eine Ausbildung hat und hier arbeiten möchte, der soll kommen. Wir haben einen Fachkräftemangel. Und das unterscheidet mich von der AfD.
Das sagt Alice Weidel aber auch.
Ja, und Tino Chrupalla sagt das Gegenteil. Das ist ja das Geschickte an der AfD. Solange sie keine Regierungsverantwortung trägt, kann der eine das sagen und der andere das, und jeder kann sich aussuchen, was ihm gefällt. Die Mehrheit in der AfD sagt aber: Wir brauchen keine Zuwanderung. Ich sehe das nicht so. Aber wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte, und Deutschland sucht sich aus, wer kommt. Punkt.
Und Asylsuchende?
Das muss man trennen. Wir können nicht sagen, wir haben keinen Wohnraum, und nehmen jedes Jahr eine weitere Großstadt hier auf. Wir kommen mit dem Bau der nötigen Infrastruktur nicht mehr hinterher und unsere Kinder können das schon gar nicht schaffen. Ich werfe übrigens keinem Einzigen vor, dass er versucht, nach Deutschland zu kommen. Jeder von uns würde das in seiner Situation genauso machen. Schuld an der jetzigen Lage sind nicht die Flüchtlinge, sondern unsere falsche Flüchtlingspolitik.
Sie haben vor drei Jahren die AfD verlassen, weil es dort statt um Inhalte hauptsächlich um bezahlte Mandate und Ämter ginge. Wie blicken Sie heute auf Ihre alte Partei?
Meine Einschätzung hat sich nicht geändert, und meine Erfahrung hat mich dazu gebracht, über das Konstrukt unseres politischen Systems nachzudenken. Ich habe erlebt, wie Abgeordnete mit den besten Absichten in den Bundestag eingezogen sind. Doch dann gibts die Kohle, dann gibts den Fahrdienst, mit dem man sich an den Media-Markt fahren lässt, um für 999 Euro eine Kaffeemaschine zu kaufen, weil 1000 Euro, das Maximum sind, das man abrechnen kann. Das hat ein Kollege schon nach drei Wochen in Berlin gemacht. Dann sieht man die ganzen Intrigen, die Gerüchte, die gestreut werden oder die WhatsApp-Gruppen, um gezielt jemanden fertig zu machen. Sie können sich nicht vorstellen, wie oft Hauptstadtjournalisten von Medien, die der AfD feindlich gesinnt sind, Interna aus der AfD gesteckt bekommen, in der Hoffnung, den innerparteilichen Gegner fertig zu machen. Das ist das, was Parteien ausmacht, nicht nur die AfD. Fragen sie Sahra Wagenknecht, fragen sie Andrea Nahles.
Was muss sich also ändern?
Es ist zu viel Geld im System. Wenn du den Job ernst nimmst, ist Bundestagsabgeordneter ein heftiger Job. Dann hast du 16-Stunden-Tage ohne Ende. Man kann aber auch ganz entspannt gar nichts tun und trotzdem 16 000 Euro pro Monat verdienen. Da muss man ran und auch an eine Amtszeitbegrenzung. 16 Jahre Merkel oder 30 Jahre Gysi sind falsch. Aber vor allem an die Listen muss man ran. Das Listensystem ist einer der schlimmsten Fehler unserer Demokratie, weil es die eigentliche Macht vom Wähler zu den Parteien verlagert hat.
Das Problem wäre einfach zu lösen, indem man überall das Kumulieren und Panaschieren einführt.
Meine Rede! Ich nehme da als Beispiel immer die FDP. Ich kenne Leute, die die Partei wählen würden, aber für die geht die Strack-Zimmermann gar nicht.
Das Gegenargument ist, dass das Streichen und Häufeln von Dutzenden Stimmen für die Wähler zu kompliziert sei.
Das ist kein Argument. Wenn du teilhaben möchtest an der Politik, dann beschäftigst du dich auch mit ihr. Das ist auch ein Versagen der Bürger. Wenn die frustriert sind und Veränderungen wollen, sich aber überhaupt nicht für die Politik interessieren, haben sie eine Mitschuld an unserer aktuellen Lage.
Sie haben gerade Ihre alte Partei heftig kritisiert, nennen aber keine Namen.
Ich habe immer noch gute Bekannte - keine Freunde - in der AfD, warum sollte ich da dreckige Wäsche waschen? Es gibt ein paar Leute, deren Karriere ich tatsächlich beenden könnte, mit E-Mails und Posts, die die gemacht haben, auch in Hessen, aber was bringt mir das? Ich glaube an Karma. Ich glaube, dass Leute, deren charakterlichen Defizite ich erlebt habe, sich früher oder später selbst erledigen werden. Ich finde, die AfD hat immer noch das beste Grundsatzprogramm von allen Parteien - wenn auch mit Abstrichen. Ich war zum Beispiel immer für die Homo-Ehe. Aber dieses Grundsatzprogramm hat wenig mit der Partei zu tun, die die AfD heute ist.
Nun ist die AfD trotz der von Ihnen kritisierten Entwicklungen so erfolgreich wie nie zuvor.
Meiner Meinung nach wäre die AfD heute bei 30 bis 40 Prozent, wenn sie sich rechtzeitig von bestimmten Problemfällen getrennt hätte. Mut zur Wahrheit heißt nicht, dass jeder Spinner seine eigene Wahrheit im Namen der Partei herauströten kann. Viele andere rechte Parteien in Europa haben sich mittlerweile von ihrem Narrensaum getrennt, aber Chrupalla sagt auf dem Parteitag: »Wir wollen keine Melonisierung«. Wie dumm kann man sein? Die Frau führt ihr Land und kann seine Politik bestimmen. Wenn ich aber nicht in die Position komme, zu entscheiden, kann ich noch so radikale Forderungen heraushauen, sie werden nichts ändern.
Warum wird die Partei denn dann gewählt?
Das ist nicht das Verdienst der AfD. Das liegt daran, dass die Ampelpolitik so eine Katastrophe war und die neue Koalition wahrscheinlich noch schlimmer wird. Das ist traurig, denn die Bürger dieses Landes haben definitiv etwas Besseres verdient als das, was da im Bundestag abgeliefert wird. Die AfD kann sich selbst all ihre Ausrutscher und Idioten leisten, weil die Leute inzwischen so verzweifelt sind, dass sie sie trotzdem wählen. Ich kann zum Beispiel nicht verstehen, warum man jemanden wie Maximilian Krah in die Bundestagsfraktion aufgenommen hat, den die Europa-Fraktion nicht aufgenommen hat.
Sie werden diesen Narrensaum nach deutschem Parteirecht aber auch nur schwer wieder los.
Das stimmt, aber die AfD versucht es ja noch nicht einmal. Und wie man es auch anders machen kann hat das BSW bewiesen. Das BSW hat unfassbar viel richtig gemacht am Anfang. Sie haben es langsam angehen lassen, haben ihre Mitglieder geprüft, um für den Anfang die Kontrolle zu behalten, Sie haben nur den Fehler gemacht, alles zu verraten, für das sie standen, um in den ostdeutschen Bundesländern in Regierungen zu kommen.
Wie stehen Sie als ehemalige Bewohnerin des Ostblocks zur Russlandpolitik der AfD?
So sehr ich die Partei innenpolitisch schätze, außenpolitisch finde ich mich in der AfD nicht wieder. Ich habe eine sehr kritische Haltung zu Russland, die durfte ich in der Partei aber nicht mehr äußern. Sie gleicht damit der Gesamtgesellschaft, nur dass man sich in der nicht kritisch zur Aufrüstung äußern darf, weil man dann gleich als Putin-Troll beschimpft wird. Wir können in diesem Land einfach nicht mehr miteinander reden.
Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal in die Politik zurückzukehren?
Ich dachte immer, dass es eine Lücke zwischen CDU und AfD gibt, ich glaube das nicht mehr. Ich denke, die AfD wird einmal die CDU ersetzen, wenn die CDU so weitermacht. Aber ich sehe eine Lücke im freiheitlichen Bereich. Die FDP hat alles verraten, wofür sie einst stand. Wir brauchen aber dringend eine liberale, oder besser freiheitliche Partei, doch das müsste eine andere Partei sein als diese Cliquen-Partei FDP. Es müsste eine Partei sein, die sich für die Freiheit der Bürger und der Wirtschaft einsetzt. Und für so eine Partei sehe ich ein Potenzial. Corona hat viel verändert und nicht nur die Rechten aufgeweckt. Auch viele Linke haben damals gesehen, wozu dieser Staat fähig ist, ein Staat, der den Menschen die Grundrechte nimmt. Je mehr dieser Staat einen bevormundet, wenn man wegen eines Schwachkopf-Memes Polizeibesuch bekommt, dann macht das etwas mit den Leuten. Und das schafft ein Potenzial für eine radikalfreiheitliche Partei.
Und wenn das nichts wird?
Ich persönlich habe mir eine Deadline bis 2029 gesetzt. Wenn sich bis dahin in der deutschen Politik nichts Grundlegendes ändert, bin ich raus. Ich liebe dieses Land und ich liebe Hessen, aber eine Politik, die jetzt offensichtlich auch noch den letzten Cent aus den Menschen herauspressen will, bringt einen dazu, dass man Ausreisepläne macht. Mein Mann ist Schweizer, wir haben einige Jahre in der Schweiz gelebt, und jetzt denken wir ernsthaft darüber nach, wieder dorthin zu ziehen.