Pohlheim . Wer auf den ehemaligen Steinbruch Nickel in Grüningen aus Richtung Windmühle schaut, der sieht viele Bäume und Büsche, kann jedoch gut erahnen, dass es hier eine große Abbausenke gibt. Naturschützer wissen schon lange, dass sich dort seltene Amphibien wie Geburtshelferkröte und Kammmolch angesiedelt haben. Eine Gruppe von Grüningern und zwei Holzheimer haben sich jetzt zusammengefunden, um für ein Naturschutzgebiet zu sorgen. Ein erstes Treffen fand bereits statt.
Nur ein paar Meter von der Landesstraße entfernt liegt kurz vor dem Stadtteil die Einfahrt zum Steinbruch, alles ist umzäunt. Der einstige Eigentümer, die Familie Nickel, ist nur noch Gesellschafter des Nachfolgers MHI Naturstein & Baustoffservice GmbH aus Wächtersbach. Das Unternehmen hat rund 1000 Beschäftigte an 47 Standorten und besitzt 22 Steinbrüche. Schon lange wird in Grüningen nichts mehr abgebaut.
Seit den 90er Jahren existiert ein Rekultivierungsplan, den Nickel und Nachfolger, die vom Abbau profitierten, gesetzlich verankert aufstellen lassen mussten.
Schon Ende der 60er und in den 70er Jahren zeigte sich bundesweit, wie viel Schindluder zuvor an derartigen Plätzen getrieben wurde. Oft landete Haus- oder Industriemüll in den Abbaugruben, den dann Muttererde abdeckte. Die Umweltgesetzgebung wurde daraufhin verschärft, viele Betriebsgenehmigungen entzogen und Rekultivierungspläne verlangt. Diese dienen dazu, die beeinträchtigte Landschaft wiederherzustellen.
Zuletzt hatten sich 2021 Pohlheims Stadtverordnete mit dem ehemaligen Steinbruch beschäftigt. Die Freien Wähler, damals noch mit Umweltdezernent Ewald Seidler aus Holzheim im Magistrat, hatten beantragt, dort ein Naturschutzgebiet auszuweisen. Zuvor sollte der Ortsbeirat befragt werden.
Vier Jahre später stand jetzt ein Empfehlungsbeschluss für das Projekt auf dessen Tagesordnung. Der wurde im Gremium um Michael Wagner (CDU) einstimmig getroffen.
Vonseiten des Magistrates um Pohlheims Bürgermeister Andreas Ruck (parteilos) war allerdings zuvor zu hören, dass der Eigentümer MHI an der genehmigten Rekultivierungsplanung festhalte. Heißt das, es gibt keine Chance auf ein Naturschutzgebiet?
An diesem Abend weist ein zweiter Holzheimer, Ulrich Sann, einst FW-Stadtverordneter, darauf hin, dass jeder ein Naturschutzgebiet beim Regierungspräsidium (RP) beantragen könne und die Behörde dann prüfen müsse.
Werden Auflagen geprüft?
Der ehemalige Erste Stadtrat Pohlheims, Seidler, stand in all den Jahren immer mal wieder am Zaun der Nickel-Grube, um den Ruf der Amphibien aufzuzeichnen. Er betonte auf Nachfrage, dass sich dort Kröten und Molche bis heute wohlfühlten und vermehrten. »Insbesondere seitdem MHI die Entwässerungspumpe abgeschaltet hat«, wusste in der Ortsbeiratssitzung auch das Gremiumsmitglied Bodo Marsteller (CDU).
Seidler erklärte, dass vonseiten des Regierungspräsidiums die zu schützenden Amphibienbestände bereits durch Auflagen an den Steinbruch-Eigentümer gesichert seien. »Doch ob das immer so geprüft wird?«, fragt sich der Holzheimer.
Mittlerweile sind seit 1991, der Rekultivierungsplan-Unterzeichnung, fast 25 Jahre vergangen. Die Verfüllung des Steinbruchs geht nur schleppend voran - gut für die Amphibien derzeit, doch es könnte ja anders werden. Gibt es eventuell ein Ablaufdatum für die Umsetzung und neue Eingriffsmöglichkeiten? Seidler spricht von 2030, das gehe aus dem Rekultivierungsplan hervor. Und auch das RP bestätigt, dass zum 31. Dezember 2030 der Plan vollendet sein muss. Seidler möchte daher jetzt schon die Weichen stellen, was danach wird.
Daher freute es ihn und auch Ortsvorsteher Michael Wagner, dass die Grüninger Interessengemeinschaft Steinbruch Nickel ins Leben gerufen werden konnte. Die beiden Grüninger Stadtverordneten Björn Feuerbach (FW) und Reiner Leidich für die CDU, die das Vorhaben ebenfalls unterstützt, bringen dazu ihr Wissen ein.
Zum Tagesordnungspunkt war für den erkrankten Bürgermeister Dezernent Peter Alexander (SPD) gekommen. Er verlas ein aktuelles Schreiben aus dem zuständigen Regierungspräsidium Gießen und wies darauf hin, dass er mit dem Vorgang vorher nicht befasst war.
Genehmigung des RP
Er erklärte zunächst, dass es einen Abschlussbetriebsplan gebe, der aus dem Jahr 2017 datiere und der gerade nicht befristet sei. Die Stadt Pohlheim habe sich jedenfalls informiert, wie Einfluss genommen werden könne. Seitens des Regierungspräsidiums bestehe aber kein Handlungsbedarf. Dazu zitierte er aus einer aktuellen E-Mail aus dem RP, dass der Tagebau wie genehmigt verfüllt werde. Die Verfüllmenge hänge von der Marktsituation ab. Es werde aber auch gesehen, dass sich hier »wertvolle Biotope« für Amphibien befinden könnten. Es gebe dort periodisch trockenfallende Kleinstgewässer als Lebensräume.
Dass die Stadt dort keinen Einfluss habe, verneinte der Stadtverordnete Reiner Leidich, da die Kommune im Bereich auch Flächen besitze und er sich erinnere, dass Zahlungen des Steinbruchbetreibers an die Stadt geflossen seien, als dort noch abgebaut worden sei.
Der Stadtverordnete Björn Feuerbach meinte, dass der aktuelle Rekultivierungsplan wohl nur Streuobstwiesen vorsehe. Vieles sei unklar. Man wolle keinen Ärger mit MHI, aber es sei Zeit, einmal die Köpfe zusammenzustecken.
Ortslandwirt Bodo Marsteller wusste mehr. Es habe einmal ein Treffen gegeben, dass es Richtung Windmühle, im Volksmund »Hoinkdeppe« genannt, Streuobstwiesen geben sollte und in der Mitte drei Hektar Ackerland. Die Landwirtschaft verzichte aber gerne zugunsten des Naturschutzes darauf. MHI habe aber damals kein großes Interesse gezeigt, was man aus dem Areal machen könnte. »Wenn die weiter so vorgehen, wie sie gerade füllen, dann ist das noch in 50 Jahren so!«
Reiner Leidich erinnerte sich noch gut daran, dort schon während seiner Kindheit Molche und Kröten gefangen zu haben. »Heute gibt es kaum mehr welche.« In der Steinwand hätten sich Bienenfresser und Uhu angesiedelt: »Die Natur hat sich da was zurechtgelegt. Wir werden hier vorerst nur gefragt, was wollt ihr. In absehbarer Zeit ist das Loch zu, und es gibt dort keine Kröte mehr und keinen Uhu! Und wenn einige Zugvögel schon das Gewerbegebiet Garbenteich Ost infrage stellen können, dann sollte hier in Grüningen die Stadt auch entsprechend agieren.« Ortsvorsteher Michael Wagner will jedenfalls jetzt mit MHI sprechen, eventuell sogar früher als die Stadt. Der Ortsbeirat empfiehlt jedenfalls einstimmig, hier ein Naturschutzgebiet vorzusehen. Und die neue Interessengemeinschaft wird das genau mitverfolgen.
Wie kommt der Name Geburtshelferkröte eigentlich zustande? Das Weibchen legt seine Eier nicht direkt ins Wasser. Stattdessen legt es die Laichschnüre ab, und das Männchen wickelt sich diese dann um die Hinterbeine (Quelle: BUND).