12. September 2024, 18:15 Uhr

B 49: Bürgerversammlung

Hitziger Disput in Reiskirchen

Gegner und Befürworter der Ortsumfahrung Reiskirchen streiten im Bürgerhaus und es geht ziemlich hoch her.
12. September 2024, 18:15 Uhr
IB
Ein Bürger erinnerte mit einem Plakat an die große Zustimmung für die Südumgehung beim Volksentscheid 2009.

Reiskirchen . In der vierten und vorerst letzten Bürgerversammlung zur Südumgehung der B 49, zu der Umweltaktivisten am Dienstag in das Bürgerhaus Reiskirchen eingeladen hatten, prallten die verhärteten Fronten noch einmal wenig versöhnlich aufeinander. Von den rund 150 Besuchern war die Mehrzahl aus Lindenstruth in den Hauptort der Großgemeinde gekommen, um dort mit Plakaten, beschrifteten T-Shirts, aber auch mit lauten Unmutsbekundungen und Zwischenrufen ihrem Ärger Luft zu machen. Dass kurz vor dem Baubeginn der seit Jahrzehnten geplanten Südumgehung diese von anderen Bürgern und Umweltaktivisten infrage gestellt wird, erregte sichtlich die Gemüter.

In der Diskussion im Anschluss an einen Film, der die Argumente der Südumgehungsgegner zusammenfasste, hatten es die beiden Moderatorinnen Ricarda Heimann und Leona Stienecke nicht immer leicht, die Diskussion in geordneten Bahnen zu halten.

»Warum sollte ein normaler rechtschaffener Bürger Umweltaktivisten glauben und nicht den Behörden«, kommentierte ein Mann unter dem Beifall der Umgehungsbefürworter den rund halbstündigen Film aus der Projektwerkstatt von Jörg Bergstedt. Die im Film vorgeschlagenen Kreisel auf der alten B 49 durch Lindenstruth seien beispielsweise rechtlich gar nicht zulässig, solange die Ortsdurchfahrt nicht zur Landesstraße heruntergestuft werde. Dem widersprach Bergstedt, schließlich seien auch auf der Umgehungsstraße gleich mehrere Kreisel eingeplant.

Ein Anwohner der Ortsdurchfahrt in Reiskirchen betonte, dass dort der Verkehrslärm 64 Dezibel (dB) betrage und damit 15 dB mehr als am Südhang des Kirschbergs. Weil eine Erhöhung um ein dB aber eine Erhöhung des Lärmpegels um 26 Prozent bedeute, sei das eine vierfach höhere Lärmbelastung in den Ortsdurchfahrten.

»Wir haben so viel versucht«

»Wir sollten nicht erlauben, die Bürger auseinander zu dividieren«, meinte ein anderer Reiskirchener. Die 64 Dezibel kämen seiner Meinung nach auch nicht von der Ortsdurchfahrt, sondern von der A 5. Die Autobahn umfahre Reiskirchen von zwei Seiten auf einer Höhenlage und der Schall werde von den vorherrschenden Westwinden in den Ort getragen: »Und wenn jetzt noch die Südumgehung gebaut wird, dann ist Reiskirchen komplett von Straßen eingekreist.«

Lindenstruths Ortsvorsteher Gerhard Albach führte anschließend noch einmal mit sichtlicher Verbitterung aus, welche Anstrengungen er und andere Kommunalpolitiker zur Verkehrsberuhigung des Dorfes unternommen hatten. »Wir haben so viel versucht und wir sind in allem kläglich gescheitert«. Immer wieder habe er Anträge zur Verkehrsberuhigung gestellt, doch die seien allesamt abgewiesen worden, weil die B 49 die Umleitungsstrecke der A 5 sei, wenn diese wegen eines Unfalls gesperrt sei, was viel zu oft vorkomme. Deswegen werde nichts genehmigt.

Man habe auch die Ampel nicht vor dem Kindergarten bekommen, wo sie gebraucht würde. »Das hat kein Schwein interessiert.« Einmal sei ein Pkw direkt in die Bushaltestelle gekracht und habe das ganze Wartehäuschen weggeschleudert. »Hätten da Kinder gewartet, die hätten keine Chance gehabt.«

Bergstedts Ideen für eine Bahnhaltestelle in Lindenstruth seien ja schön und nett, aber: »Haben Sie schon mal versucht, bei der Bahn jemanden zu erreichen, der etwas entscheiden kann? Das schaffen Sie nicht, bevor Sie im Grab liegen.« Alle fünf Jahre habe die Gemeindevertretung in Reiskirchen diesbezüglich Anträge gestellt, und sogar im Neubaugebiet Lindenstruth Platz für einen Bahnsteig vorgehalten, »obwohl wir das nicht mehr erleben werden. Auch in zwei Generationen werden wir keine Haltestelle haben. Lindenstruth ist ein vergessener Ort.«

Dessen 1000 Einwohner ertrügen auch gerne die An- und Abfahrten der 1200 Mitarbeiter von Weiss Technik, weil die die Gewerbesteuer schaffen würden, die auch den anderen Ortsteilen zu Gute kämen. »Ohne Weiss hätten wir auch nicht die 470 000 Euro, die wir jedes Jahr brauchen, alleine um den Kindergarten zu unterhalten.«

Die Zahlen, die die Umweltschützer vorgelegt hätten, mögen stimmen, räumte Albach ein, doch jede Entlastung, sei sie auch noch so klein, sei für Lindenstruth entscheidend. Zudem seien alle politischen Entscheidungen pro B 49 Süd ausgegangen. Wer das nicht anerkenne, verhalte sich rechtswidrig, schloss er unter dem Applaus seiner Anhänger.

»Ich verfluche wie Sie die B 49«

»Ich verfluche wie Sie die B 49«, wandte sich dann ein Gegner der Umgehung an den Ortsvorsteher. Er erinnerte daran, dass es unter einem Regierungspräsidenten Bäumer die Möglichkeit gegeben habe, innerhalb von drei bis vier Jahren die Nordumgehung zu realisieren. »Doch das wurde unter anderem von Leuten abgelehnt, die heute noch in den Parlamenten sitzen.«

Eine weitere Bürgerin warnte die Reiskirchener vor dem Lärm, der künftig von allen Seiten komme und das 24 Stunden lang an jedem Tag der Woche. Für ihre Aufforderung, noch einmal in der Jossoler Aue spazieren zu gehen, denn »bald werden Sie es nicht mehr können«, erntete sie höhnisches Gelächter und Zwischenrufe wie »Heul doch!« aus dem Lager der Umgehungsbefürworter.

Ein Vertreter der Bürgerinitiative »Pro Süd« betonte anschließend, er sei mehr für Zahlen und nicht für Vermutungen. Deshalb sei die beste Lösung für Reiskirchen und Lindenstruth die Südumgehung. Dafür hätten 2009 auch 94 Prozent der Lindenstruther und 66 Prozent in der Gesamtgemeinde gestimmt. Das nicht zu akzeptieren, sei undemokratisch.

Dem schloss sich ein anderer Bürger an, der die in der Großgemeinde verteilten Flugblätter der Umgehungsgegner »eine Gefährdung der Demokratie« nannte: »Ich denke, man sollte auf die Entscheidung der Behörden vertrauen und nicht alles in Frage stellen. Was das nämlich für Folgen hat, das hat man ja bei den Wahlen im Osten gesehen.«

Jörg Bergstedt konterte, dass der Nichtigkeitsantrag aufgrund veränderter Voraussetzungen zulässig sei und sagte seinem Vorredner: »Sie vertrauen nicht auf die Gerichte, Sie haben ein Demokratieproblem.«

Dietmar Jürgens vom Verkehrsclub Deutschland ergänzte, dass das aktuelle Gutachten mit den sinkenden Verkehrszahlen zwar im Planfeststellungsbeschluss erwähnt, aber offenbar nicht eingearbeitet worden seien. Auch seien in den Daten die Verkehrsströme zu Weiss Technik nicht erfasst. Sein Fazit: »Es wird keine große Verlagerung des Straßenverkehrs durch die Umgehung geben, wie sie Hessen Mobil verspricht und wie sie sich die Lindenstruther erhoffen.«

Ortsvorsteher Albach erinnerte noch an die Ankündigung Bergstedts, Aktionen zu planen, »die weh tun«. »Was meint er damit?«, fragte er in den Saal, »solche Aussage machen mir Angst.« Der Angesprochene entgegnete den Umgehungsbefürwortern: »Schon diese Informationsveranstaltung tut Ihnen offensichtlich weh. Schon die Veröffentlichung der niedrigeren Zahlen hat Ihnen ja wehgetan.«

Im Anschluss löste sich eine bisweilen hitzige Versammlung in viele Einzelgespräche auf, in denen es deutlich ruhiger zuging und bei denen es auch zu vereinzelten Annäherungen der Standpunkte kam.

»Wir haben hier in Reiskirchen doch mehr Gemeinsamkeiten, als wir manchmal glauben« fasste eine Bürgerin schließlich ihre Eindrücke aus einem längeren Gespräch mit einem Vertreter der Gegenseite zusammen.



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