23. April 2025, 19:21 Uhr

Friedenseiche gesetzt UND DENNOCH FREIWILLIG ZUSAMMENGEFUNDEN

Heuchelheim und Kinzenbach sind sich nicht ganz grün

Sie waren sich 200 Jahre lang spinnefeind und auch heute noch sind sich Heuchelheimer und Kinzenbacher nicht ganz grün. Jetzt wurde eine Friedenseiche gepflanzt
23. April 2025, 19:21 Uhr
EWW
Eine Friedenseiche erinnert jetzt an das Ende einer 200-jährigen Feindschaft: Förster Lukas Sonnabend, Bürgermeister Steinz, Peter Ströde, Gerhard Wiese und Manfred Ehlers. Foto: Soßdorf

Heuchelheim . Der Wald ist heute ein Ort der Erholung, niemand vertreibt hier Spaziergänger, Hundehalter oder Radler mit der Mistgabel. Historisch gesehen war der Wald jedoch niemals zur Entspannung gedacht. Er diente schon in der Literatur als Kulisse für Märchen mit bösen Wölfen und anderen Fabeltieren. Als dunkler Ort löste er Konflikte unter Menschen aus, wenn es um wichtige Güter wie Feuerholz und Baumaterial, aber auch tierische Nahrung ging.

Das wissen die Heuchelheimer und Kinzenbacher nur allzu gut, die mit Mistgabeln und Fäusten über zwei Jahrhunderte aufeinander losgingen, als der eine dem anderen den Wald streitig machte, der doch beiden gemeinsam gehörte.

Eine Roteiche bezeugt jetzt im Kinzenbacher Forst, dass Frieden die Zukunft einer Schicksalsgemeinschaft bestimmen sollte, unbeinflusst von deren Vergangenheit. Gemeint sind die beiden Ortsteilbürger, die jetzt vereint in der Gemeinde Heuchelheim an der Lahn wohnen.

Nachwirkung auf Generationen

»Der Waldstreit hat Generationen nachgewirkt. Die Kinzenbacher und Heuchelheimer haben deswegen nicht mehr untereinander geheiratet.« Das weiß der ehemalige Amtmann Gerhard Henkelmann, der nach 250 Jahren die Idee für ein Art Mahnmal hatte. Eine Friedenseiche, vor den Osterferien gesetzt, markiert eine wichtige Stelle im Wald, an der vor sehr langer Zeit Schweine unter einer Buche einen Schattenplatz suchten. Die Buche setzte in all den Jahrhunderten ein Zeichen, dass hier Tiere als Pfand einbehalten wurden und deswegen unter Heuchelheimern und Kinzenbachern böses Blut herrschte.

Zwist und seine Befriedung

Alt geworden wurde die Buche um die Jahrtausendwende aus Sicherheitsgründen gefällt, doch Henkelmann wollte nicht, dass alle Hinweise auf den epochalen Zwist und dessen Befriedung verschwinden sollten. Der Nabu-Schriftführer regte die Ersatz-Anpflanzung auf einem heutigen Lahnauer Gemarkungsteil an. Es findet sich in der Nähe der Schutzhütte im Saustallsgrund auf heutigem Atzbacher Gebiet, allerdings im hier noch ursprünglichen Kinzenbacher Wald.

Da der 76-jährige Heimatfreund Henkelmann kurzfristig erkrankte, wurde der Baum vom örtlichen Nabu-Chef Dr. Peter Ströde und seinem Stellvertreter Gerhard Wiese gesetzt. Heuchelheims Bürgermeister Lars Burkhard Steinz und der Erste Beigeordnete Dr. Manfred Ehlers waren gerne gekommen, gerade vor dem Hintergrund einer Zeit, in der Frieden weltweit keine Selbstverständlicheit mehr ist.

Lösung vor 250 Jahren

Ströde hob dann auch hervor, dass gemeinschaftliches Eigentum manchmal zu Konflikten führen kann. »Die eindeutige Zuordnung des Waldeigentums vor 250 Jahren war in diesem Fall die bessere Lösung. Die Beendigung des Waldstreits kann als Vorbild für viele Konflikte in der Welt gelten.«

Denoch hat der Waldstreit zwischen Heuchelheimern und Kinzenbachern deutliche Spuren hinterlassen, ist bis heute in das Gedächtnis der Älteren eingebrannt. Angedauert hatte er fast 200 Jahre, mit Nachwehen bis 1775. Recherchen dazu hatte Henkelmann für den Heimat- und Geschichtsverein Heuchelheim-Kinzenbach schon länger unternommen.

1585 kam Heuchelheim zu Hessen und Kinzenbach zu Nassau-Weilburg. Damit sollten die dauernden Zwistigkeiten, die sich durch die gemeinsame Verwaltung ergaben, beendet werden. Doch der gemeinsame Wald wurde nicht aufgeteilt, sodass der Zorn blieb.

Das erste urkundliche Zeugnis der Uneinigkeit aus dem Jahr 1578 betraf die vor dem Wald gelegene Völkerbachweide (später teilweise Sportplatz und danach ab 1950 Gartengelände der Heimatvertriebenen). Sie war von den Kinzenbachern mit Weiden zur Gewinnung von Flechterzeugnissen bepflanzt worden und stand somit als Weide nicht mehr zur Verfügung. Das passte jedoch den Heuchelheimern nicht.

In manchen Jahren gab es zudem einen zweiten Eichelfall. Auf diese Nachmast erhoben die Kinzenbacher allein Anspruch, da das Gebiet nassauisch sei und beschlagnahmten die Heuchelheimer Schweine, als der Heuchelheimer Schweinehirt zur Nachmast in den Wald ziehen wollte. Etwas später nahmen die Heuchelheimer den Kinzenbachern die gesamte Schweineherde ab und verkauften sie. Die Kinzenbacher wiederum nahmen den Heuchelheimern Pferd und Wagen als Pfand weg, beschlagnahmten Heuchelheimer Schweine und verkauften diese. Im Gegenzug holten sich die Heuchelheimer acht Pferde.

Ein Hin und Her um den Wald ist säuberlich dokumentiert. Immer wieder mussten Soldaten, teilweise bis zu 100, die Streithähne trennen und einen Austausch der Pfänder möglich machen.

»Mörderische Schläge« verpasst

Ein großer Zusammenstoß war vorprogrammiert, als die Heuchelheimer einmal im Wald arbeiteten und ihnen währenddessen 17 Ochsen, zwei Pferde und drei Wagen Holz weggenommen wurden. 300 Personen fielen daraufhin mit Stangen, Heu- und Mistgabeln über die Kinzenbacher her, »mit mörderischen Schlägen«, so ist es überliefert, wurden diese »in schmählicher Gefangenschaft nach Heuchelheim fortgetrieben.«

1774 nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) wurde der Wald endlich durch das Setzen von Grenzsteinen geteilt. Hierzu trafen sich Vertreter aller Parteien in Rodheim.

Die Grenzsteine, die heute zum Teil noch vorhanden sind, wurden zunächst auf der einen Seite mit NW für Nassau-Weilburg, ab 1816 geändert in KP (Königreich Preußen), und auf der anderen Seite mit HD für Hessen-Darmstadt gekennzeichnet.

Lediglich beim Setzen der Trift-Steine (mit »T« gekennzeichnet), von denen heute nur noch wenige vorhanden sind, für den Viehtrieb-Weg zum Wald hin gab es noch Differenzen.

Die über 196 Jahre (1578-1774) immer wieder aufflammenden Zwistigkeiten wirkten noch lange in beiden Gemeinden nach und bis zur Auflösung des Großherzogtums Hessen-Darmstadt und des Königreichs Preußen 1918 gab es nur wenige menschliche Beziehungen über die »quasi ausländische Grenze« zwischen den beiden Gemeinden, heißt es.

Gerhard Henkelmann hat sich viele Gedanken gemacht, warum die Heuchelheimer und Kinzenbacher nicht miteinander auskommen wollten: »Zunächst muss man auch heute noch die Frage aufwerfen, wie es zu diesem wunderlichen Zusammenschluss zweier Orte kam, die sich in der Geschichte nicht nur über Jahrzehnte sondern sogar jahrhundertelang - man kann sagen - spinnefeind waren. Da müssen doch vermutlich besondere Umstände, gar Zwänge vorgelegen und auch fördernde Persönlichkeiten dahintergestanden haben.

Zudem war es in Hessen 1967 der erste Fall, dass Gemeinden aus zwei verschiedenen Landkreisen und verschiedenen Regierungsbezirken zusammenfanden. Auch für den Kreis Gießen war es der erste Gemeindezusammenschluss. Mit damals 6544 Einwohnern (Heuchelheim 5013 (rund drei Viertel) und Kinzenbach 1531 (rund ein Viertel)) wurde unsere Großgemeinde zur zunächst einwohnerstärksten im Kreis Gießen.« Doch letztlich stellt der 76-Jährige fest, dass der Waldstreit die Haupt-Zwistigkeit gewesen ist.

Und letztlich spiegelt sich im Heuchelheim-Lied zum kommunalen Zusammenschluss wider, dass Gegensätzliches gerade anziehend sein kann:

»Heuchelheim im Land der Hessen,

Kinzenbach gleich nebendran,

nimmer kann ich euch vergessen,

denn ihr habt mir’s angetan.

Einst getrennt und oft zerstritten,

nun vereint zum schönen Bund,

dass er Segensfrüchte bringe,

wünschen wir von Herzensgrund.«

(ww)



0
Kommentare | Kommentieren

Bilder und Videos

  • Fassenachtszug in Giessen

  • Polizeirazzia im Frankfurter Bahnhofsviertel