. Die vermeintlich einfachen Dinge lösen die größten Diskussionen aus. Am Ortseingang von Reiskirchen soll an der B49 im Bereich Bänninger Straße eine größere Bäckereifiliale errichtet werden. Geplant ist sie in Höhe eines Geschäftshauses, das unter anderem eine Fahrschule beherbergt.
Die Gemeinde Reiskirchen hatte dazu einen Antrag beim Regierungspräsidium eingereicht, das Vorhaben zuzulassen. Es entspricht nicht den aktuellen Regionalplan-Vorgaben. Auf 150 Quadratmetern sollen mittelfristig Kunden mit Backwaren und belegten Brötchen in ihrer Mittagspause gesättigt werden. Aufgrund der Größe wird vermutet, dass sich ein Café-Bereich anschließt. Der scheidende Reiskirchener Bürgermeister Dietmar Kromm (parteilos) wollte im Nachgang dem Anzeiger noch nicht verraten, wer angefragt hat: »Es ist ein bekanntes Unternehmen.« Das Vorhaben wurde erst jetzt durch den Antrag öffentlich.
Der zuständige Hauptausschuss der Regionalversammlung befürwortete jedenfalls am Montag in seiner Sitzung in Buseck die Abweichung vom Regionalplan.
Regionalplan gleich mit geändert
Das Ansinnen führte im Kulturzentrum auch zu einem Umdenken. Die Mehrheit des 14-köpfigen Gremiums beschloss gleich hinterher, in Vorranggebieten Industrie und Gewerbe solche Versorgungsfilialen allgemein zuzulassen. Die Idee hatten die Regional-planer im Regierungspräsidium, für die Simone Philippi den Vorschlag machte.
Zuvor war eine Diskussion über die Verödung der Innenstädte oder Ortszentren ausgebrochen, die die Laubacherin Dr. Christiane Schmahl (Grüne) als Ausschussmitglied entfachte. Sie betonte, dass sie nichts gegen die Filiale an sich habe, aber die Verbindung mit einem Café ablehne. Das habe in der Kernstadt Laubach bereits zu Problemen geführt, wobei Schmahl auf die Bäckerei Mack anspielte, die im Randbereich der Stadt im Gewerbegebiet erfolgreich eine große Bäckerei mit Café und Drive-in betreibt.
Schmahl betonte: »Die Reiskirchener Angelegenheit ist an sich eine Lappalie. Ich fahre ja daran vorbei, sehe aber, dass das Vorhaben nicht stimmig ist.« Im Ortskern Reiskirchens gibt es die Filiale der Grünberger Bäckerei Lukasch, im Gewerbegebiet rund um Bänninger verkaufen Volkmann und Müller Backwaren in den Supermärkten, ganz zu schweigen von einem Bäcker in Burkhardsfelden und den Backnischen der Discounter Aldi und Netto.
»Da kommt bestimmt ein Drive-in direkt an der B49 hin«, denkt Schmahl. »So was haben wir auch in Laubach.« Im Gewerbegebiet sei aber doch die Selbstversorgung der Bürger mit frischen Backwaren mehr als gesichert. »Daher werde ich nicht zustimmen, gerade wenn da jetzt noch mehr Konkurrenz reingesetzt wird.«
»Wenig nachhaltig«
Der Rabenauer Kurt Hillgärtner, der Mitglied der Freien Wähler im Hauptausschuss der Regionalversammlung ist, hätte sich etwas mehr Hintergrund gewünscht. »Dann gibt es fünf Filialen in Reiskirchen. Aber wenn die Kommune das will, dann soll sie es bekommen. Aber als nachhaltig sehe ich das nicht an.« Bei einer Enthaltung des Gießener Bürgermeisters Alexander Wright (Grüne) stimmten seine Parteikollegen in ihrer Fraktionsgemeinschaft mit den Linken, die Reinhard Hamel aus Buseck vertritt, dagegen, konnten sich aber nicht durchsetzen.
Für die FDP betonte Dr. Matthias Büger aus Wetzlar: »Wir diskutieren hier nicht, was die Welt braucht oder nicht. Ein Privater steckt sein privates Geld hinein. Wenn er Bedarf sieht, macht er das.« Der Langgönser Martin Hanika (CDU) sprach sich ebenfalls für die Genehmigung aus und sah gerade in einem möglichen Café einen wichtigen Treffpunkt für Bürger oder die Belegschaft in der Pause.
Stephan Henrich (Grüne) aus Gießen sieht allerdings die Verödung in vielen Kommunen. Die Genehmigung solcher Zielabweichungsanträge vom Regionalplan führe zum Aussterben der Ortskerne, sieht er eine Mitschuld der Regionalversammlung, in deren Ausschüssen solche Entscheidungen getroffen werden. »Wir unterstützen, dass die großen Ketten immer größer werden und immer mehr Parkplätze beanspruchen.«
Der zukünftige Regionalplan braucht noch länger, um in Kraft treten zu können. Der zuständige Dezernatsleiter im Regierungspräsidium, Dr. Ivo Gerhards, legte den beiden Ausschüssen der Regionalversammlung in ihrer Sitzung in Buseck einen sportlichen Fahrplan vor. Es ist angedacht, dass im Spätherbst 2026 nach einer weiteren Beteiligungsrunde die Vorlage des Regionalplans an die Landesregierung erfolgen kann. »Wir brauchen eine zweite Beteiligung so früh wie möglich und müssen dann erneut Stellungnahmen beraten und beschließen. Das ist eng getaktet.« Angedacht ist sie vom 26. Mai bis zum 6. Juli nächsten Jahres. Die Regionalversammlung wird davor am 4. April tagen, um die zweite Beteiligungsrunde einzuläuten. Der vorherige Regionalplan trat 2010 in Kraft und hat an sich eine Geltungsdauer von zehn Jahren. Zunächst wurde ein Teilregionalplan Energie 2016/2020 mit Vorranggebieten für Wind-, Solar- und Biomassenenergie für die Zukunft aufgelegt. Beim zukünftigen Regionalplan durften erstmals Bürger online Stellungnahmen abgeben. Der Regionalplan ist eine Art übergeordnetes Flächenkataster für fünf Landkreise im Regierungsbezirk Mittelhessen, welches vorgibt, wo Siedlungen, Gewerbeflächen oder Abbauflächen entstehen können. Die Reihenfolge, in denen Pläne verbindliche raumordnerische Ziele setzen, sind: Landesentwicklungsplan (Land Hessen), Regionalpläne (jeweils einer für einen der drei Regierungsbezirke in Hessen), Flächennutzungsplan (einer pro Kommune) und Bebauungsplänen, wobei letztere beiden in der Verantwortung der Kommunen liegen. Für größere Vorhaben gibt es noch ein Planfeststellungsverfahren (z. B. Ortsumgehungen, Eisenbahntrassen, Autobahnbau). (ww)