28. April 2025, 19:14 Uhr

Busecker Sicherheitsforum

Blick aus dem Landkreis Gießen nach Taiwan

Prof. Jhy-Wey Shieh, Repräsentant des asiatischen Inselstaates, bringt Zuhörern in Buseck sein Heimatland näher.
28. April 2025, 19:14 Uhr
SOW
Ein Mann sitzt mit einer Fahne auf dem Boden, die den Aufdruck »Ich bin Taiwaner. Ich stehe für eine Unabhängigkeit Taiwans« trägt. Die Insel kämpft gegen eine Vereinnahmung durch China. Symbolfoto: dpa-Bildfunk

. Beim Busecker Sicherheitsforum schaut man gerne von Mittelhessen aus auf die ganz große Politik. Und auch bei der neuesten, 36. Auflage der Veranstaltungsreihe der Sektion Gießen der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und der Gemeinde Buseck, wagte das Publikum wieder einen Blick über den Tellerrand des Landkreises Gießen hinaus, und zwar diesmal Richtung Taiwan.

Mit Prof. Jhy-Weh Shieh hatten die heimischen Gastgeber einen eloquenten und launigen Referenten eingeladen. Seit 2016 ist der studierte Germanist und Literaturwissenschaftler der offizielle Vertreter der Insel Taiwan in Deutschland. Botschafter darf er sich aber nicht nennen.

Zwar ist Taiwan seit Jahrzehnten eine anerkannte Demokratie und ein Hotspot der Halbleiterindustrie, aber kein Staat im völkerrechtlichen Sinne, was auf einen UN-Beschluss aus dem Jahr 1971 zurück geht. Zudem sieht sich die Insel, die etwa so groß wie Baden-Württemberg ist und 23 Millionen Einwohner hat, mit den Übernahme-Wünschen ihres großen Nachbarn, der Volksrepublik China, konfrontiert, obwohl Taiwan niemals Teil der Volksrepublik China gewesen sei. »Insbesondere in den vergangenen zwei bis drei Jahren hat sich die Situation massiv verschärft«, sagte Shieh und nannte hierfür ein eindrückliches Beispiel.

Ständige Bedrohung durch China

Während am 20. August 2024 in Dresden der Spatenstich für eine hochmoderne Chipfabrik mit taiwanesischer Beteiligung gefeiert wurde, kreuzten in der Taiwan-Straße chinesische Kriegsschiffe und Kampfjets drangen in die Luftüberwachungszone Taiwans ein.

»Inzwischen hat China auch U-Boote und Flugzeugträger in Position gebracht.« China habe die USA inzwischen zahlenmäßig im Bereich der Marine überholt. »Wozu braucht China wohl so viele Kriegsschiffe, darunter drei Flugzeugträger und 69 topmoderne U-Boote?«, fragte Shieh. «Jeden Tag könnte es sein, dass aus irgendeinem unerwarteten Szenario heraus ein Krieg vom Zaun gebrochen werden könnte.« Militärisch könne Taiwan nicht dagegen halten.

»Wir haben nur vier ältere U-Boote«, so Shieh. Das fünfte habe Taiwan erstmals vor Kurzem selbst gebaut, »um sich über Wasser zu halten«, witzelte Shieh. Letztlich habe das mehr symbolischen Charakter, um die »Entschlossenheit, die eigene Freiheit und die Demokratie zu verteidigen, zu demonstrieren«. Die Taiwanesen wüssten um den Wert der Demokratie, hätten sie nach der Zeit der Fremdherrschaft durch Japan doch eine autoritäre Einparteienherrschaft durch Chiang Kai-shek erlebt.

»Es gab keine Redefreiheit, keine Pressefreiheit, keine Meinungsfreiheit.« Mit Demokratie und dem damit einhergehenden Streit zwischen verschiedenen Parteien sei Shieh erstmals als Student an der Ruhr-Uni in Bochum in Kontakt gekommen. »Es war für mich ein Kulturschock, dass man die Regierung kritisieren durfte und dass es auch einen Regierungswechsel geben kann.« Denn das Wort »Regierungswechsel« habe es im chinesischen Wortschatz nicht gegeben.

Taiwan sei gleichermaßen »begehrt und bedroht«. Bedroht von der Kriegsgefahr durch China, das nur rund 160 Kilometer entfernt von Taiwan liege. Begehrt ist die Insel einerseits wegen ihrer weltweit bedeutenden Halbleiter-Industrie. Der Marktanteil Taiwans beträgt weltweit rund 63 Prozent. »Im absoluten »High-Tech-Bereich ist der Anteil sogar noch höher, bis 90 Prozent«, so der 70-Jährige. »Ohne die Chips aus Taiwan funktioniert auch kein deutsches Auto mehr - seien Sie mir nicht böse, wenn ich das sage.« Keine Fahrzeugtür ginge auf, das GPS würde nicht laufen. »Vielleicht würde noch das Warndreieck funktionieren, wenn es nicht im Kofferraum liegen würde, der sich ja ohne Chip nicht öffnen lässt.« Zudem habe der Erhalt von Frieden und Stabilität in der Region auch globale Bedeutung. Und dabei gehe es nicht allein um den Schutz einer Demokratie.

»Eine militärische Eskalation in der Taiwan-Straße würde auch die Interessen Deutschlands und der EU berühren« heißt es in der ersten China-Strategie der Bundesregierung von 2023. Der Wasserweg »Taiwanstraße« sei eine bedeutende, weltweite Handelsroute, die quasi jeder zweite Container passieren müsse. Die »Internationalität« des Gewässers werde von den US-Amerikanern, Japanern und auch von den Europäern deutlich gezeigt, indem auch Militärschiffe in dem Gewässer fahren würden. »Diese Wasserstraße ist kein Privateigentum von China.« Internationale Präsenz sei wichtig, denn China rüste massiv im Indopazifik auf. »Das beschränkt sich längst nicht nur auf Taiwan«, warnte Shieh. China unterstütze Putins Russland insgeheim.

Goethe-Gedicht als Mahnung

Wie verteidigungsbereit sei Taiwans Bevölkerung?, fragte anschließend ein Zuhörer. »Wir hatten einen Wehrdienst von nur vier Monaten«, erzählte Shieh. Dieser ist vor nicht allzu langer Zeit auf ein Jahr verlängert worden, um die Kampfkraft der Bevölkerung zu verbessern. »Im Alltagsleben in Taiwan merkt man nicht, dass man einer permanenten Bedrohungslage ausgesetzt ist.«

Aber wenn man sich austausche, dann würden manche Taiwaner schon sagen, dass sie sich Sorgen machen und sich überlegen, wie man sich vorbereiten könne. »Nicht nur militärisch, sondern auch im Zivilschutz.«

Die Demokratien dieser Welt müssten aufpassen auf diese kleine Insel im Chinesischen Meer, so der Diplomat. China sei wie Goethes »Erlkönig«. Als Mahnung verwies Shieh auf das Goethe-Gedicht, in dem ein reitender Vater die Ängste und Sorgen seines Kindes, das er im Arm hält, nicht ernstnimmt. Das Kind sieht sich vom Erlkönig bedroht: »Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.« »Wir wissen, wie das Gedicht endet«, erinnerte Shieh. »Dem Vater grauset’s; er reitet geschwind, er hält in den Armen das ächzende Kind, erreicht den Hof mit Mühe und Not; in seinen Armen das Kind war tot.«

Für den Germanisten aus Taiwan ist dieses Gedicht der Inbegriff einer Zeitenwende, »der typische Verlauf einer Gefahrenlage, die man lange Zeit nicht wahrhaben will«.



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