12. April 2022, 09:18 Uhr

Gießen

»Dem Verein verzeiht man, dem Land nicht«

»Dem Verein verzeiht man, dem Land nicht. Jüdische Fußballfans in Frankfurt« so der Titel des Dokumentarfilms, den Masterstudierende der Fachjournalistik Geschichte gedreht haben.
12. April 2022, 09:18 Uhr
Der 90-jährige Helmut »Sonny« Sonneberg steht im Frankfurter Waldstadion. Er hat das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt und kehrte nach Kriegsende nach Frankfurt zurück. Foto: Patrick Liste

Anhänglichkeit an den lokalen Fußballverein ist weitverbreitet. So natürlich auch in Frankfurt. Die Eintracht füllt, wenn nicht gerade eine Pandemie grassiert, regelmäßig das Waldstadion mit mehr als 50.000 Plätzen. Woraus entsteht so ein Zugehörigkeitsgefühl? Was gibt es dem Einzelnen? Und auf welche Proben stellt es die Fußballleidenschaft deutsch-jüdischer Fans, dass Eintracht Frankfurt nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten - wie andere deutsche Vereine damals auch - jüdische Sportlerinnen und Sportler sowie Sportfunktionäre ausschloss und von 1955 bis 1970 den ehemaligen Eintracht-Nationalspieler und SS-Mann Rudolf Gramlich zu ihrem Vereinspräsidenten machte? Diesem Thema geht der Film nach.

Begeisterten Fan der Eintracht befragt

Vier Masterstudierende der Justus-Liebig-Universität dokumentieren, welche Rolle der Fußball im Leben einiger jüdischer Frankfurterinnen und Frankfurter spielt. Einer von ihnen ist der 90-jährige Helmut »Sonny« Sonneberg, über den der Hessische Rundfunk ebenfalls eine Dokumentation brachte. Nach eigenem Verständnis ist er Katholik. Aber 1938, als er sieben Jahre alt war, erfuhr er, dass er für das NS-Regime Jude war, ohne zu wissen, was das bedeutete. Sein Vater sei nicht sein Vater, sagte man ihm. Helmut Sonneberg erlebte in Frankfurt fortan Demütigungen, Ausgrenzung, wurde von seiner Familie getrennt und in ein Waisenhaus eingewiesen. Noch 1945 wurde er nach Theresienstadt deportiert. Nach Kriegsende kehrte er nach Frankfurt zurück und wurde ein begeisterter Fan der Eintracht. Dort gehörte er endlich dazu, niemand fragte nach seinen Erfahrungen als Jugendlicher. Bis er vor gar nicht so langer Zeit beschloss, doch einmal davon zu erzählen.

Ein weiterer Protagonist des Films ist Fiszel Ajnwojner, heute Vorsteher der Frankfurter Westend-Synagoge. Als Kind polnischer Holocaust-Überlebender in einem Lager für Displaced Persons geboren, bestand seine Kindheit in Nachkriegsdeutschland vor allem daraus, vorsichtig zu sein und nicht aufzufallen - die Angst der Eltern vor erneuten Pogromen war groß. Nach der Wiedergründung von Makkabi Frankfurt begann Ajnwojner dort als junger Mann Fußball zu spielen - in einem damals dezidiert jüdischen Verein, dessen Geschichte der Film ebenfalls beleuchtet.

Manches kann auch ein Trugbild sein

Was die beiden sowie weitere Protagonisten des Films eint, ist ihre Leidenschaft für Fußball und die Teams, die sie anfeuern - wobei dazu bei Sonneberg und Ajnwojner die deutsche Nationalmannschaft ausdrücklich nicht zählt. Die Dokumentation »Dem Verein verzeiht man, dem Land nicht« zeigt, dass hinter der Zugehörigkeit zu einer Fangemeinde sehr unterschiedliche Motivationen liegen und dass die nach außen gezeigte »Eintracht« der Fußballfans manchmal nur ein Trugbild ist.

Filmprojekt zog sich wegen Pandemie hin

Die Dokumentation wurde von Jonas Kreutzer, Natalija Köppl, Julian Feider und Simon Bloemers im Rahmen ihres Masterstudiums erstellt. Wegen der Pandemie zog sich das Projekt, das sie im Wintersemester 2020/2021 begonnen hatten, in die Länge. Ein umfangreiches geschichtsjournalistisches Praxisprojekt, das die Studierenden als Gruppe erarbeiten, ist ein wesentlicher Baustein ihres praxisbezogenen Masterstudiums. Sie wählen das Thema selbst, ebenso ob es ein Film, ein Podcast oder eine crossmediale Online-Präsentation sein soll. Betreut werden sie dabei von der Historikerin Prof. Ulrike Weckel, Fachjournalistik Geschichte, und einem Medienpraktiker, in diesem Fall dem Frankfurter Filmautor und -regisseur Sascha Schmidt.

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